Verlust- und Trauerarbeit brauchen Zeit und Raum
von Claudia Stadler
Verlust und Trauer sind die besten Komplizen der menschlichen Lebensfreude
- Trauerarbeit läuft in Etappen und individuell bei Erwachsenen
- Kinder und Jugendliche brauchen den richtigen Rahmen
- Verlusterlebnisse können unbewusst auch aus anderen Ereignissen stammen
Eine Geschichte aus dem persönlichen Umfeld ist der Aufhänger für den Beitrag: ein verwaistes und ausgehungertes Rehkitz landete durch Zufall in der Familie eines Jägers. Dort wurde es mit tierärztlicher Unterstützung gehegt und gepflegt und vor allem von den Kleinkindern im Alter von zwei bis fünf Jahren ins Herz geschlossen. Es wurde alles Menschen Mögliche unternommen, um dem Wildtier gute Lebensbedingungen zu schaffen – in der Hoffnung auf ein kleines Wunder. Trotzdem gab es kein Happy End: nach wenigen Tagen wurde das ohnehin schwache Tier immer schwächer und muss von seinem Leid erlöst werden.
Wie bringt man diesen Verlust einem Kleinkind bei, das noch keinen Bezugsrahmen zu Tod und Leben hat? Nun, in diesem Fall wurde die Geschichte gewählt, dass eine Reh-Tante, die in der Nähe regelmäßig gesichtet wurde mit ihrem Nachwuchs, das kleine Kitz nun abgeholt habe zum Spielen in den Wald. Weil gesunde Wildtiere normalerweise nicht bei Menschen leben, sondern zu ihren Artgenossen in den Wald gehören.
1. Kinder drücken Verlust und Trauer über verschiedene Sinne aus - persönliche Sicherheit als sozialer Rahmen ist wichtig
Dass Tod und Leben als natürliche Pole immer dazugehören, versteht ein Kleinkind noch nicht. Bei Kindern und heranwachsenden Jugendlichen differenziert sich die Vorstellung – je nach sozialem Umfeld – immer mehr. Daher liegt es nahe, dass Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Altersstufen bei Verlust von nahen Angehörigen unbedingt eine spezialisierte Betreuung brauchen. Dazu gibt es einen guten Beitrag für alle Interessierten im Ärzteblatt: https://www.aerzteblatt.de/archiv/222113/Psychologie-von-Kindern-und-Jugendlichen-Wenn-Kinder-am-Sterbebett-stehen
Ich behandle keine Kinder in akuten Trauerphasen, weil ich dafür nicht ausgebildet bin. Ich verweise aber gern an entsprechende Stellen weiter bei Bedarf. Mein Fokus liegt auf der Trauerbegleitung bei Erwachsenen.
2. Wie läuft eine Trauer- und Verlustverarbeitung bei Erwachsenen?
Hier denkt man zunächst an die häufigsten Fälle von Tod und Verlust von nahen Angehörigen. Oft werden Betroffene im Alltag beim Tod von Eltern, Partnern oder Angehörigen ein paar Tage krankgeschrieben oder auch medikamentös behandelt, danach soll der Mensch wieder "funktionieren". Ich finde persönlich, das ist ein Spiegel unserer Spaß- und Leistungsgesellschaft. Dabei ist Trauer weder eine „Krankheit“, noch für die Trauernden auf wenige Tage abzuhandeln. Trauerphasen von mehreren Monaten sind völlig normal. Dabei sind die Symptome und die Emotionen, die die Menschen zeigen so verschieden, wie die Menschen selbst.
Was Trauer pathologisch und damit wirklich behandlungsbedürftig machen kann nach mehreren Monaten, sind Faktoren, die aus der Person selbst kommen und z.B. ihren Vorerfahrungen mit dem Thema Tod. Aber auch Faktoren aus dem privaten oder beruflichen Umfeld, die stabilisierend oder destabilisierend sein können. Hier gilt es unbedingt wachsam zu sein, wenn Menschen mehrere Monate nach Trauer und Verlusterlebnissen depressive Syndrome zeigen oder gar Merkmale einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Ein Trauerprozess hat immer ähnliche Phasen – aber völlig individuelle Verläufe – in unserer Gesellschaft hat öffentliches Trauern wenig Raum
Um mit Trauer umzugehen, ist es oft hilfreich, verschiedene Phasen einordnen zu können:
- Zum einen ist es möglicherweise der Schock oder das Entsetzen über eine Todesnachricht selbst, die verarbeitet werden muss. Dazu auch vielleicht das kontextuelle Erleben des Todes von nahen Angehörigen
- Kontrollverlust, Ohnmacht und Wut mit der Frage nach dem „Warum“ gehören ebenso häufig zu den normalen Reaktionen auf eine Todesnachricht
- Erst nach wenigen Tagen/Wochen beginnen die Hinterbliebenen dann den Alltag neu zu sortieren und die neue Situation langsam zu akzeptieren. In dieser Phase sind z.B. das gemeinsame Erinnern, (Abschieds-)Rituale alleine oder in Gesellschaft, aber vor allem auch das Zulassen der eigenen Emotionen wichtig.
- Trauer ist ebenso wichtig wie Lebensfreude – allein in unserer Gesellschaft hat Trauer im Alltag, z.B. am Arbeitsplatz oder im privaten Umfeld oft wenig Akzeptanz bzw. ist ein nicht betroffenes Umfeld oft überfordert mit Trauerreaktionen. Man neigt eher zum Verdrängen, statt zur Verarbeitung, die manchmal eben auch kollektiv und in einem öffentlicheren Rahmen stattfinden müsste. Andere Kulturen zelebrieren Abschiedsrituale völlig anders als wir in Deutschland.
Trauererleben aus anderen Gründen - Trauerphasen müssen vollständig durchlaufen werden
Sind Trauerphasen und das emotionale Loslassen von Verlusterlebnissen nicht abgeschlossen, findet man in der Arbeit mit Hypnotherapie häufig Wut und Trauer als emotionale Relikte, die dann oft die Lebensqualität in der Gegenwart und Zukunft hemmen. Neben den oben zitierten Todeserleben von nahen Verwandten, können derartige, unabgeschlossene Trauerphasen und unverarbeitete Emotionen auch aus anderen Ereignissen kommen.
Häufig finden sich in der Hypnotherapie z.B. Aborten oder Abtreibungen als Ursache, auch wenn die Ereignisse schon viele Jahre zurückliegen. Auch der Verlust von Gesundheit durch Unfälle, schwere Erkrankungen, Amputationen oder Organverlust kann relevant sein. Nicht weniger einschneidend können Verlust einer Heimat/Kultur, aber auch Erlebnisse bei Scheidungen/Trennungen im Umfeld oder Arbeitsplatzverlust sein. Gelegentlich sind auch lebensbedrohliche Erfahrungen im frühen Kindesalter, z.B. auch Komplikationen bei Schwangerschaften oder Geburt ursächlich für eine latente Trauer, die im Bewusstsein oft nicht eingeordnet werden kann.
In diesen Fällen kann mit medizinisch angewandter Hypnotherapie oft ein guter Weg für die Nachbearbeitung eröffnet werden, so dass der Weg für Lebensfreude wieder offensteht. Denn wer sich bewusst ist, dass Leben endlich ist und Trauer phasenweise dazugehört, schätzt die Lebensfreude wieder umso mehr. Weil Menschen soziale Wesen sind, die emotional ausdrucksfähig sind.
Quellen
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