Aktuelle Studie März 23: psychische Erkrankungen nehmen nochmals zu

von Claudia Stadler

Der Post-Corona-Trend geht weiter: eine heute veröffentlichte Studie der DAK in Baden-Württemberg mit Auswertungen von rund 275.000 Versicherten zeigt, dass die Fehltage in Betrieben - bedingt durch psychische Erkrankungen - weiter angestiegen sind im vergangenen Jahr. „Im Durchschnitt waren die Betroffenen im vergangenen Jahr 36,9 Tage lang krankgeschrieben, mehr als jeder vierte davon bis zu drei Tage, jeder siebte länger als 42 Tage. Vor allem handelt es sich laut Report um Depressionen, die auf einem Rekordhoch liegen, sowie um Belastungs- und Anpassungsstörungen“, heißt es in der in der "Zeit" veröffentlichten dpa-Meldung.
Auffällig sei dabei die stark zunehmende Häufigkeit bei jungen Frauen im Alter von 15-19 Jahren sowie auch bei Männern in der Altersgruppe bis 39 Jahre. Aber auch die Branchenzuordnung mit Spitzenreiter Gesundheitswesen fällt auf im Psychreport der DAK.

Forderung nach Unternehmensverantwortung und noch mehr Prävention - ist das die Lösung?
Wieder einmal wird der Ruf laut nach noch mehr Unternehmensverantwortung in der Präventionsarbeit. Dabei gibt es dort längst unzählige Angebote für Gesundheitstage, Aktionsprogramme, Coachings, Resilienz und Stress Trainings und Selbstfürsorge-Aktivitäten. Doch allein das scheint die Welle der zunehmenden Belastungen auch nicht abzufangen. Die Ursachen sind – systemisch gesehen – komplexer.

Die Mikroebene in der Zusammenarbeit ist der erste Kontaktpunkt
Denn der Faktor Arbeit und Stressbelastung am Arbeitsplatz ist sicher ein wichtiger, wenn es um die Entstehung von psychischen Erkrankungen geht. Hier gilt es allerdings zu differenzieren: sind es beispielsweise inhaltlich-fachliche Überforderung oder umgekehrt Unterforderung, Schichtarbeit, Bereitschaftsdienste oder zwischenmenschliche Beziehungen, die belasten?
In dem Zusammenhang sehe ich persönlich wieder mal die unterste Mikrobeziehung im System als wichtige Ebene: das Angestellten-Chef Verhältnis, das nachweislich zur höchsten Zufriedenheit am Arbeitsplatz beitragen kann. Hier ist das höchste Mass an Struktur und Beziehungsgestaltung möglich und damit auch die Entscheidung über Jobzufriedenheit.

Tabuthema Gesundheit
Und idealerweise werden dort Themen offen angesprochen und nötige Veränderungen vorgenommen – in der Theorie. Allein das arbeitsrechtliche System steht dem leider oft im Weg: Gesundheitsthemen gehören zu den sensibelsten und haben nicht selten Nachteile im beruflichen Fortkommen – werden daher nicht offen adressiert. Hier kann eine gute Vertrauensbasis und eine adäquate Kommunikation die Brücke bauen. Damit sind Chefetagen und Betriebsräte strukturell in der Pflicht einen entsprechenden Rahmen zu schaffen - inhaltlich und methodisch der Mitarbeitende und der nächste Vorgesetzte.

Chef und Mitarbeiter bleiben trotzdem in der Pflicht – für Inhalt und Strukturveränderung
Ferner gibt es für mich zwei weitere Ebenen, die in der Präventionsarbeit gegen psychische Erkrankungen helfen können.

1. Selbstfürsorge fängt vor der eigenen Haustüre an
Außerhalb der Betriebssphäre gibt es aber auch die Privatsphäre und insbesondere das Freizeitverhalten von Menschen. Und das zahlt wiederum auch auf die Selbstfürsorge und die eigene Erholung und somit Resilienz ein – unabhängig vom Status im Job. Die Kenntnis darüber, was einem guttut und wie man sich selbst beruflich und privat organisiert, obliegt also immer der Selbstverantwortung – und zwar in allen Bereichen. Und sie bildet mit ein Fundament für die eigene Resilienz, die es braucht, um externe Belastungen abzufangen. Dazu gehört auch das Setzen von gesunden Grenzen, was meiner Meinung nach nicht immer im Verhältnis zu anderen gemeint ist, sondern auch mit einem bewussten Verzicht in eigener Sache einhergehen kann, um die eigene Leistungsfähigkeit und Regeneration auszubalancieren.

2. Externe Faktoren können die Entstehung von Erkrankungen beschleunigen – beide Seiten in der Verantwortung
Der Hinweis in der Studie zeigt auch, dass Vorerkrankungen in Kombination mit den gesellschaftlichen Zusatzbelastungen durch Corona, Inflation oder Krieg in den letzten Jahren ein weiterer Faktor waren, die das Entstehen von psychischen Erkrankungen begünstigten. Meiner Meinung gehören aber auch die verschlafene Digitalisierung in vielen Branchen und umständliche Arbeitsprozesse, der immer noch hierarchische Führungsstil und das Festhalten an alten Werten sowie die Alterung der Gesellschaft mit dem Fachkräftemangel (in allen Branchen) dazu, für die es in der Breite immer noch keine wirkliche strukturelle Antwort gibt. Und hier gibt es im Spannungsfeld Unternehmensstrategie – Wirtschaftlichkeit – Inklusion – Führungsverhalten und -verantwortung auf Unternehmensseite größere Aufgaben zu bewältigen. Die gesellschaftliche Verantwortung nochmals eine Etage oberhalb sei hier einer vollständigeren Betrachtung halber nur erwähnt.

3. Zusammenfassung: Lösungen auf der Mikroebene Bottom – up– jeder psychisch Erkrankte im Job ist einer zu viel
Kurzfristig wird diese nötige gesellschaftspolitische Umbruchsphase aber weiterhin auf Ebene der einzelnen Betroffenen und in deren unmittelbarem Umfeld zu gestalten sein, um psychischen Erkrankungen vorzubeugen oder bereits Erkrankte bestmöglich unterstützen zu können.

  • Wissen hilft gegen Tabuisierung und Unsicherheit: Betroffene wie deren privates und berufliches Umfeld sollten mehr über Symptome und Erkrankungen wissen. Hier können Schulungen, aber insbesondere die Unterstützung von Führungskräften und Mitarbeitenden im Einzelfall im Umgang mit einem psychisch Erkrankten helfen. Denn jede Depression oder andere Belastung hat einen anderen Kontext und Hintergrund und braucht individuelle Lösungen.
  • Es ist ein Qualitätsmerkmal, sich frühzeitig fachlich kompetente Hilfe zu holen – auf beiden Seiten. Und diese Hilfe kann nur begrenzt sein.
  • Selbstfürsorge und Abgrenzung sind essenziell: die Eigenverantwortung für eine Erkrankung bleibt beim Betroffenen. Ohne aktive Mitwirkung in allen Lebensbereichen hilft auch kein betriebliches Gesundheitsmanagement gegen psychische Belastungen.
  • Sensible Kommunikation und echtes Vertrauen sind der Schlüssel für Strukturveränderungen in beiderseitigem Interesse.

Quellen

Bildnachweis: privat

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